Tricia Prickett und Neha Gada-Jain, zwei Psychologiestudenten an der Universität von Toledo, berichten in einer Studie, die sie gemeinsam mit ihrem Professor Frank Bernieri durchgeführt haben, dass in den ersten 10 Sekunden eines Bewerbungsgesprächs das Ergebnis vorhergesagt werden könne. Dazu wurden tatsächliche Bewerbungsgespräche auf Video aufgezeichnet und von Studenten nur anhand des ersten Eindruckes bewertet. Das einzige Problem dabei ist, dass diese Vorhersagen aus den ersten 10 Sekunden unbrauchbar sind.
Denn das gesamte restliche Bewerbungsgespräch dient ausschließlich dazu, zu bestätigen, was wir von jemandem halten, anstatt ihn wirklich zu bewerten. Dies nennt sich Bestätigungsvoreingenommenheit, also die Tendenz, Informationen auf eine Weise zu suchen, zu interpretieren oder zu priorisieren, die die eigenen Überzeugungen oder Hypothesen bestätigt. Basierend auf der geringsten Interaktion treffen wir ein schnelles, unbewusstes Urteil, das stark von unseren bestehenden Vorurteilen und Überzeugungen beeinflusst wird. Ohne es zu merken, wechseln wir dann von der Beurteilung eines Kandidaten zur Suche nach Beweisen, die unseren ersten Eindruck bestätigen.
Mit anderen Worten, die meisten Interviews sind Zeitverschwendung, da 99,4% der Zeit damit verbracht wird, den Eindruck zu bestätigen, den der Interviewer in den ersten zehn Sekunden bekommen hat.
Doch welche Interviewtechnik funktioniert? Laszlo Bock entschuldigte sich im Vorfeld seiner Bucherscheinung für die, von vielen Firmen – und auch von Google zuweilen – verwendeten Fallinterviews und Denksportaufgaben. Dazu gehören Probleme wie: „Schätzen Sie, wie viele Tankstellen es in Manhattan gibt.“ Oder auch: „Wie viele Golfbälle würden in eine 747 passen?“. Eine unserer persönlichen Lieblingshassfragen ist: „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ mit deren Antworten doch nie jemandem wirklich gedient ist.
Die Leistung bei solchen Fragen ist bestenfalls eine Fähigkeit, die durch Übung verbessert werden kann, wodurch ihr Nutzen für die Beurteilung von Kandidaten entfällt. Im schlimmsten Fall stützen sie sich auf triviale Informationen oder Erkenntnisse, die dem Kandidaten vorenthalten werden. Diese dienen in erster Linie dazu, dass sich der Interviewer klug und selbstzufrieden fühlt. Sie können kaum oder gar nicht vorhersagen, wie sich diese Kandidaten in einem Job entwickeln werden.
Bereits 1998 veröffentlichten Frank Schmidt und John Hunter eine Metaanalyse von 85 Jahren Forschung darüber, wie gut Bewertungen die Leistung vorhersagen. Sie untersuchten 19 verschiedene Bewertungstechniken und stellten fest, dass typische, unstrukturierte Vorstellungsgespräche ziemlich schlecht darin waren, vorherzusagen, wie sich jemand nach der Einstellung verhalten würde. Dennoch werden sie noch immer verwendet.
Unstrukturierte Interviews können nur 14% der Leistung eines Mitarbeiters erklären. Dies liegt etwas vor der Aussagekraft von Referenzprüfungen (7%) und der Anzahl der Jahre Berufserfahrung (3%).
Die beste Vorhersage für die Leistung einer Person in einem Job wird durch einen Arbeitsproben-Tests (29%) gewährleistet. Dies beinhaltet, dass den Bewerbern ein Beispiel für eine Aufgabe gegeben wird, die der Aufgabe ähnelt, die sie im Job erledigen würden, und dass ihre Leistung darin bewertet wird. Dies ist ein Grund dafür, warum Coding Challenges durchaus ihre Daseinsberechtigung haben. Selbst diese können die Leistung aber nicht perfekt vorhersagen, da die tatsächliche Leistung auch von anderen Fähigkeiten abhängt (zB davon, wie gut die Kandidaten schlussendlich mit anderen zusammenarbeiten, sich an Unsicherheiten anpassen und lernen).
Die zweitbesten Leistungsprädiktoren sind Tests der allgemeinen kognitiven Fähigkeiten (26%). Im Gegensatz zu Fallinterviews und Denksportaufgaben handelt es sich hierbei um tatsächliche Tests mit definierten richtigen und falschen Antworten, ähnlich wie bei IQ-Tests. Sie sind prädiktiv, da die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten die Lernfähigkeit umfassen und die Kombination von Intelligenz und Lernfähigkeit die meisten Menschen in den meisten Berufen erfolgreich macht.
Ebenso hohe Vorhersagekraft haben strukturierte Interviews (26%), in denen den Kandidaten eine konsistente Reihe von Fragen mit klaren Kriterien zur Beurteilung der Qualität der Antworten gestellt wird. Es gibt zwei Arten von strukturierten Interviews: Verhaltens- und Situationsinterviews. In Verhaltensinterviews werden die Kandidaten gebeten, frühere Erfolge zu beschreiben und diese mit den Anforderungen des aktuellen Jobs abzugleichen (etwa „Erzählen Sie mir davon, als Sie das letzte Mal vor einem schwierigen Problem standen. Wie sind Sie vorgegangen? Was würden Sie heute anders machen …?“). Situationsinterviews stellen eine berufsbezogene hypothetische Situation dar („Was würden Sie tun, wenn …?“). Ein gutes Interview ist dadurch geprägt, dass sich der Interviewer eingehend mit den Denkprozessen, die hinter den vom Kandidaten erzählten Geschichten stehen, befasst. Denn durch vergangenes Verhalten lassen sich durchaus gute Rückschlüsse über zukünftiges Verhalten treffen. Vor allem, wenn man diese mit der Reflexionsfähigkeit und dem Lernbewusstsein des Kandidaten verknüpft. Versuchen Sie das Wesen des Kandidaten zu ergründen, seine Denkweise zu verstehen und sein Verhalten für Ihr Unternehmen zu antizipieren.
Strukturierte Interviews sind sogar für Jobs, die selbst unstrukturiert sind, ein guter Vorhersagemaßstab. Zudem stellte man bei Google fest, dass sowohl Kandidaten als auch Interviewer eine bessere Erfahrung machen und diese Interviews als am fairsten empfunden werden.
Warum werden sie dann nicht von mehr Unternehmen genutzt, fragen Sie sich nun vielleicht. Nun, weil sie schwer zu entwickeln sind: Sie müssen zuerst erarbeitet werden, ausführlich getestet und zudem muss auch sichergestellt sein, dass sich die Interviewer an sie halten (das macht man bei Google durch eine Art Peer-Reviews). Und dann müssen Sie auch noch kontinuierlich aktualisiert werden, damit die Kandidaten keine Notizen vergleichen und die besten Antworten einfach auswendig lernen können.
Google selbst vereint gar Verhaltens- und Situationsinterviews mit Tests der allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, Gewissenhaftigkeit und Führungsfähigkeiten.
Es steckt also viel Arbeit in einem guten Interviewprozess, aber die Alternative besteht darin, die Zeit mit einem unstrukturierten Interview und dem reinen Verlass auf das Bauchgefühl zu verschwenden. Wollen Sie wirklich mit so viel vergeudeter Zeit dafür bezahlen? Schließlich könnten Sie dann genauso gut nach 10 Sekunden jedes Interview abbrechen und sowohl Ihnen als auch dem Kandidaten die restlichen 59 Minuten und 50 Sekunden ersparen.